In einer Zeit nach Corona, in denen sich die Trends Great Resignation* und Quiet Quitting** die Klinke in die Hand geben, titelt t3n (Magazin für digitales Business) im Sommer 2023 auf seiner Onlineplattform: „Mitarbeiter verlassen keine Unternehmen, sondern Chefs“!
Man kann als Organisation, deren Ausrichtung durch Führungskräfte initiiert wird, solche Aussagen und Phänomene ignorieren oder sich selbst hinterfragen. Fakt ist, dass das gelebte Führungsverhalten Einfluss hat. Aber, wie viel Verantwortung tragen Führungskräfte für die Leistung und auch die Verbundenheit der Mitarbeiterschaft? Warum ist das vielleicht so und was kann dagegen unternommen werden?
Studien untermauern schon seit vielen Jahren, dass das Führungsverhalten einer der zentralen Faktoren für die Bindung und das Engagement der Mitarbeiterschaft ist. Zwar möchte ich jetzt Führungskräfte nicht alle über einen Kamm scheren, aber gerade individuell abweichendes Verhalten zeigt, dass es immer eine sogenannte Führungskultur in Organisationen gibt (also auch ohne diese explizit auszurufen). Dabei betone ich immer, dass Kultur keine Wertung (i.S.v. gut oder schlecht) hat. Kultur ist erst einmal da und hat sich durch Verhalten etabliert bzw. manifestiert. Und genau hier muss man auch den Hebel ansetzen, wenn eine Kultur beeinflusst oder neu orientiert werden soll. Dazu reicht es dann aber leider nicht, wie manche meinen, dass es gut formulierte, veröffentlichte Absichtserklärungen in Form von Grundsätzen oder Leitsätzen gibt. Zwar spielen Leitbilder u.ä. eine zentrale Rolle, damit es für die gesamte Führungsmannschaft ein gemeinsames „Bild“ gibt. Aber gemessen wird Führungsverhalten immer noch in der täglichen Praxis, basierend auf dem Tun. Und dies erleben und bewerten halt die Geführten und nicht die Führenden.
Um auf Engagement und Bindung Einfluss zu nehmen, sollte meiner Ansicht nach bewirkt werden, dass Führung mehr mit der Gestaltung tragfähiger Beziehung und Dialogbereitschaft verbunden wird und weniger auf fachliche Inhalte der Arbeit von den Teammitgliedern. Noch zu häufig ist ja die Person mit der höchsten fachlichen Expertise in der Führungsrolle zu finden und nicht die, welche für die Führungsarbeit am geeignetsten ist. Fachlichkeit sollte also nicht mehr der Fokus sein, sondern die Befähigung für glaubwürdige Kommunikation und Beziehungsgestaltung. Sie sind die Schlüsselkompetenzen für Führungskräfte. Damit meine ich hinsichtlich Kommunikation nicht, gelungene Rhetorik oder Storytelling. Das betone ich ganz bewusst, da sich Menschen nur von Menschen berühren und somit schließlich auch bewegen lassen. Und beide eben genannten Techniken können sehr schnell manipulativ eingesetzt oder so erlebt werden. Es geht mir dabei darum nicht diese Techniken generell zu verdammen, sondern ich plädiere dafür sie für den Aufbau von Vertrauen und Beziehung zu verbannen! Meine Überzeugung ist, dass Menschen merken (früher oder später), wenn man ihnen nur etwas vorspielt. Fehlt z.B. das Vertrauen zur eigenen Führungskraft, werden Fehler oder auch lösungsorientierte Ideen eher nicht angesprochen. Die Folgen davon könnten immense Kosten erzeugen oder Innovationen verhindern.
Beziehungsaufbau ist also ein Schlüssel – leider führt Remote Arbeit oder auch die hohe Abwesenheitszeit von Führungskräften (zumeist sitzen sie ja in Meetings) dazu, dass sich niemand ein Bild vom jeweils anderen machen kann. Oder um es anders auszudrücken, es fehlt immer wieder an Zeit und Ort für gelungene Begegnung (inkl. Kommunikation). Und genau hier liegt aber auch eine zentrale Stellschraube – sobald sich eine Führungskraft dafür engagiert, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes „beGreifbar“ ist, entsteht die Basis für eine authentische Beziehung. Es ist eine Einladung, welche die Führungskraft startet – jedoch ohne ein Anrecht auf Resonanz. Dies macht es für die Führenden manchmal anstrengend – Beziehungsentwicklung benötigt eben mal mehr oder mal weniger Zeit!
Wenn ich in meinen Coachingsitzungen an Situationen, bei denen es um die Beziehungsgestaltung geht, mit dem Coachee arbeite, eröffne ich u.a. gerne den Blick dafür, wie viele Jahre das Gegenüber eben anders behandelt wurde als gegenwärtig. Dann ist es spannend zu überlegen, wie lange es wohl dann für eine Veränderung braucht. Um dafür eine Vorstellung zu entwickeln, ist die Gottmann-Konstante (1:5-Regel) hilfreich. Sie bedeutet sinngemäß: Für eine vertrauensstörende Handlung sind fünf vertrauensbildendende Handlungen zum Ausgleich nötig! Weniger Sorgen muss man sich vielleicht dann machen, wenn man nicht der Verursacher von gestörtem Vertrauen ist, sondern „frisch“ eine Beziehung aufbauen kann – aber es kann auch anders sein. Kurzum: Eigentlich ist es auch ohne wissenschaftliche Befunde klar: Wir Menschen wissen gerne, woran wir sind! Und für diese Authentizität ist Raum und Zeit notwendig, wie wir gleich noch sehen werden.
Den Prozess für mehr Authentizität zu starten, liegt in den Händen der Führungskräfte – hierüber können sie aktiv Einfluss nehmen (Achtung: Stellschraube). Zugleich darf man den Begriff der Authentizität nicht so verstehen, dass ich mich so verhalte wie mir gerade ist. In der Praxis bedeutet dies, dass ich mich natürlich über ein Verhalten eines meiner Teammitglieder sehr ärgern darf. Dennoch sollte ich jedoch diesen Ärger nicht direkt in mein Verhalten ihr gegenüber ausdrücken, indem ich sie zum Beispiel anschreie. Die Wirkung, die ich mit so einem Verhalten erzeuge, ist sicherlich kontraproduktiv für die nächste Zeit.
Schade übrigens, dass nach meiner Erfahrung dennoch dieser Führungsstil immer noch in den deutsche Führungsetagen anzutreffen ist und (noch schlimmer) von Nachwuchskräften übernommen wird.
Zurück zur Authentizität bedeutet dies, dass ich mich als Führungskraft danach orientiere, was ich bewirken möchte oder soll. Hierfür wähle ich dann eine entsprechende Rolle aus, die ich mit der dazugehörigen Haltung, in meiner Art und Weise einnehme. Genau in diesem letzten Punkt liegt nämlich meine Authentizität als Führungskraft. Es ist nicht die Perfektion gefragt, sondern das ehrliche, authentische Einnehmen meiner Verantwortung in einer jeweiligen Rolle – dies kann dann Vertrauen und Respekt bewirken.
Führung benötigt, neben Authentizität, auch Zeit – in zweierlei Hinsicht – und bildet damit die nächste Stellschraube zur Beeinflussung von Bindung und Engagement. Der eine Zeitaspekt bezieht sich auf den eingebrachten Zeitumfang für die Mitarbeiterschaft in Form von Gesprächen und persönlichen Begegnungen. Wie oben schon erwähnt, ist dies in der Praxis oft nicht so leicht herstellbar.
Schlimmer ist aber, dass immer noch viel zu oft Führung als eine „Nebenfunktion“ verstanden wird – ein Blick in Stellenanzeigen genügt dafür. Und zu guter Letzt kommt noch hinzu, dass mir nicht zum ersten Mal von Führungskräften atemberaubende Teamgrößen (Stichwort Führungsspanne) genannt werden. Stellt man sich dann die Kombination von wenig Zeit für Führung (inkl. Nebenfunktion) plus viele zu führende Menschen vor, dann wird der Titel des eingangs genannten t3n-Beitrags verständlich. Übrigens, dann hilft auch die wirksamste Authentizität nichts.
Der zweite Zeitaspekt bezieht sich auf den Aufbau und die Gestaltung der Beziehung zwischen Führungskraft und Team – so etwas benötigt Zeit für die Entwicklung oder umgangssprachlich zu wachsen.
Ich erinnere mich an einen Coachee, der sein Team zu mehr Eigenverantwortung entwickeln wollte. Sein Team ging jedoch darauf nicht ein und wollte immer wieder klare Vorgaben. In der Analyse stellte sich dann heraus, dass der Vorgänger meines Coachees sehr dominant und rigoros durch klare Ansagen geführt hat – und dies über ein Jahrzehnt. Hierdurch wurde vieles klarer und meinem Coachee gelang es, seinem Team mehr Zeit zu geben, sich an eine andere Art der Zusammenarbeit zu gewöhnen.
Oft erlebe ich auch, dass die Annahme bei Führungskräften existiert, sie müssten die Mitarbeiter stets und ständig „glücklich“ und „zufrieden“ machen. Damit assoziieren sie dann die Rolle als „Animateur“ und geraten unausweichlich in das Dilemma es allen recht machen zu müssen. In meinen Führungsworkshops für Nachwuchskräfte habe ich immer wieder gerne einmal zu Beginn die Einstiegsfrage gestellt, wer die Aufgabe übernommen hat, um als Chef*in beliebt zu sein. Es gingen oft viele Arme in die Höhe und die Ernüchterung war oft groß, dass diese Motivation eine (Selbst-)Falle ist. Denn Fakt ist, ich kann es nicht immer allen recht machen und beliebt mache ich mich manchmal aufgrund meiner Entscheidungen z.B., auch nicht immer.
Dies ist aber aus meiner Sicht nicht schlimm bzw. führt mich auch eher in „selbstgebaute“ Dilemma. Meine These ist: Wenn meine Leute wissen, was ich bzw. was die Aufgabe von ihnen erwartet oder fordert und ich dann dafür Sorge trage, dass die notwendigen Mittel und die Zeit zur Erledigung vorhanden sind/ist, ist schon sehr viel erreicht. Wenn ich dabei noch im Blick habe, ob es sich für den Einzelnen um eine „Pflicht-Aufgabe“ oder eine „Kür-Aufgabe“ handelt und darauf achte, dass letztgenannte so oft wie möglich im Alltag vorhanden ist, habe ich noch mehr bewirkt. Wenn ich nun dann noch dafür sorge, dass sich die Person gesehen und gewertschätzt erlebt, dann denke ich, entsteht hohe Bindung. Und so kann dann auch das oft zitierte „Fordern und Fördern“ wirksam angegangen werden.
Um dies wahr werden zu lassen, muss ich mir als Organisation die Frage stellen, wofür insbesondere die „operativen“ Führungskräfte da sein sollen bzw. welchen Stellenwert Führung insgesamt in der Organisation haben soll. Und ich muss ich fragen, wie solche Menschen für diese Aufgabe und Rolle ausgewählt und entwickelt werden. Wie schon erwähnt, finde ich immer noch in Unternehmen den Umstand vor, dass die fachlich beste Person mit der Führung betraut wird. Damit möchte ich die Fachlichkeit nicht abwerten, sondern nur die Frage stellen, welche anderen Eigenschaften denn vielleicht höher zu bewerten sind. Und auch bei der Entwicklung erlebe ich oft, dass man ein „Programm“ (im schlimmsten Fall eine Schulung) absolvieren muss – meist schon, wenn bereits schon die Führungsverantwortung übernommen wurde – und dies schon längere Zeit her ist.
Für sensible Verantwortungen – und Führung gehört dazu – nutzen manche Unternehmen Coaches zur Einzelbegleitung. Hierdurch kann „just in time“ die jeweilige Person für ihre Rolle begleitet und entwickelt werden. Aber auch dies kann nur Wirkung zeigen, wenn Coaching nicht in der Führungskultur als „Nachhilfe“ für diejenigen, die „es nicht bringen“ angesehen wird. Ich denke, es wird deutlich, dass es also auch bei Auswahl und Entwicklung viele Stellschrauben gibt, um das Engagement und die Bindung der Mitarbeiterschaft durch Führung(-skräfte) positiv wirksam zu beeinflussen. Es muss halt nur wirklich gewollt sein!
Was könnte alles möglich sein, wenn zukünftig (mehr) an den dargestellten Stellschrauben gedreht würde? In vielen mir bekannten Organisationen, würde die Mitarbeiterschaft dies durch mehr Eigenverantwortung und Mitdenken honorieren, da bin ich mir ganz sicher.
Doch dies sind nur meine GedankenÜber… Bei Gefallen würde ich mich über einen „Like“ freuen
Welcher Erfahrungen habt ihr gemacht?
*Sinngemäß: Arbeitnehmende kündigen freiwillig wegen ihrer Gesundheit, Work-Life-Balance, ihrer Konditionen sowie Karrierechancen und zugunsten von Jobs mit mehr Sinnhaftigkeit
**Sinngemäß: Arbeitnehmende machen nicht mehr, als vertraglich vereinbart