Stell Dir vor, es ist Change und niemand* macht mit! (*aus der Mitarbeiterschaft)

von Björn Hübner

Meine Wahrnehmung mag mich täuschen, aber ich habe den Eindruck, dass es mehr und mehr Stellen für Changer** in deutschen Unternehmen geschaffen werden. Zwar erscheint es mir nicht so, dass die Profession Change-Management den gleichen Stellenwert wie Prozess- oder Projekt-Management bekommt, aber immerhin. Vor rund 10 Jahren waren solche Stellen oder die Disziplin äußerst exotisch und oft mit dem „Gut-Mensch-Alle-haben-sich-lieb-Typen“ verknüpft. Da hat sich doch etwas verändert, cool!

Begriffe wie Veränderung, Organisationsentwicklung, Change oder Transformation sind fest im Vokabular des Top-Management verankert. Die Sinnhaftigkeit oder auch Notwendigkeit sich zu wandeln ist gefühlt so groß wie nie. Googelt man dann aber einmal nach „Erfolgsquoten“ von Change-Prozessen, blickt man auf ernüchternde Zahlen, welche im Bereich von 25% bis 60% liegen. Auch wenn man solche Zahlen immer mit Vorsicht genießen sollte (gem. dem Grundsatz traue nie einer Studie/Statistik, die du nicht selbst erstellt hast), so decken sie sich mit meinen Eindrücken aus persönlicher Erfahrung und Gesprächen mit anderen erfahrenen Changern. Kurzum, in vielen Change-Prozessen ist der Wurm drin! Wie es dazu kommen kann, darauf möchte ich nun im Folgenden eingehen.

Gar nicht selten, und manch einer mag es für eine Ausrede halten, ist der Grund für das fehlende Engagement in Change-Prozessen schlichtweg, dass es zu viel Arbeit gibt. Zu viele fachliche Projekte parallel gepaart mit zunehmendem Arbeitsaufkommen in der operativen Arbeit lassen es überhaupt nicht zu, dass noch zusätzliche Themen Platz bekommen können. So bleibt der Change im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke und kommt nicht in den Alltag der Menschen.

Hinzu kommt, auch meist als Vorwand unterstellt, der Mangel an Zeit – und dies in unterschiedlichster Form.
Häufig wird schon in der Phase der Change-Initiierung zu wenig darauf geachtet, dass sich die Führungskräfte Zeit für ihre Change-Arbeit fest einplanen. Dies könnte ein Signal dafür sein, dass der Thematik zu wenig Relevanz beigemessen wird, anderen Dingen, wie etwa Zielvorgaben mehr Bedeutung bekommen oder im extremsten Fall schlichtweg Angst vor der Rolle bzw. Aufgabe herrscht. Wer aber soll denn die Menschen im Change begleiten? Dies kann ja nicht die Aufgabe des Changers sein!
Aber auch der Mitarbeiterschaft mangelt es oft an Zeit. Dies ist nicht das gleiche wie zu viel Arbeit, tritt aber gerne in Kombination in der täglichen Praxis auf. Aber auch wenn man nur in einer verträglichen Anzahl und Menge Arbeit hat, kann diese dennoch sehr zeitintensiv sein. Rasche Beantwortungen von Kundenanfragen, Liefertermine oder zeitnah zu liefernde Expertisen fordern bei vielen Personen in Unternehmen ein professionelles Zeitmanagement. Solch ein enge Zeittaktung führt dann dazu, dass man für Change nur bei „Leerlauf“ Zeit hätte. Was dies bedeutet, brauche ich wohl nicht weiter ausführen.

Wenn der Mangel an Zeit und zu viel Arbeit verhindern, dass der Change-Prozess seinen Raum bekommt, kann dies häufig mit einer fehlenden oder unwirksamen Priorisierung zusammenhängen. Womit wir auch schon bei einem weiteren „Verhinderer“ für wirksame Change-Prozesse sind.

Fehlt die Priorität für einen Change wird er eben zu einer Nebensache und wie beim Thema Führung („Wenn ich dann mal dazu komme, führe ich auch noch ein bisschen“) ist es auch beim Wandel. Vielmehr muss gelten: Einmal gestartet muss der Schwung aufrecht erhalten bleiben! Ansonsten „versanden“ wieder alle Initiativen und Anstrengungen. Hierbei so noch angemerkt, dass das die jeweiligen Neustarts noch mehr Kraft und Anstrengung brauchen werden, wie beim Versuch davor.

Einen weiteren Einflussfaktor auf das Gelingen eines Wandels habe ich schon eben indirekt angedeutet – es ist das möglichst kontinuierliche, wirksame Voranschreiten des Change-Prozesses. Es wäre übertrieben es als Flow zu bezeichnen, zugleich finde ich es aber eine sehr passende Metapher. Ich bin zwar kein wirklicher Bergsteiger, stelle mir aber vor, dass die Besteigung eines Berges auch nur durch gleichmäßiges „Schritt für Schritt“ gelingen kann. Zumindest habe ich noch keinen Beitrag diesbezüglich gefunden, dass Mal gerannt und dann wieder gegangen wird. Und um im Bild zu bleiben, natürlich gibt es auch mal Pausen zur Erholung oder Orientierung. Dies bedeutet aber nicht, dass die Anspannung bzw. Bereitschaft verschwindet oder aus dem Blick gerät.

Gerade der eben letztgenannte Punkt – Anspannung/Bereitschaft – ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt. Stellen wir uns einmal folgendes Szenario vor: Man geht wie üblich zur Arbeit und stellt fest, dass das Bürogebäude mit einem riesigen Banner mit einer packenden Change-Botschaft über Nacht versehen wurde. Und auch gleich am Eingang bekommst du einen Change-Flyer der ankündigt, dass der Wandel nun kommt. Dazu soll es dann auch heute ein Townhall-Meeting*** mit dem Vorstand geben. Es hört aber nicht auf, denn nach diesem Termin werden reihenweise Clips mit der Change-Story im Intranet veröffentlicht. Die Botschaften sind immer identisch, alles toll gemacht – und dennoch irgendwas fehlt dir. Nach kurzem Überlegen fällt es dir auf – alle reden drüber nur es passiert nichts. Es fehlen also die Taten zu den Worten! Und sofort fällt sämtliche Anspannung/Bereitschaft bei Dir ab. Du wechselst vielleicht in einen Abwartemodus der nach einigen Wochen in eine Haltung „war doch nicht so ernst gemeint mit dem Wandel“ übergeht und irgendwann komplett in Vergessenheit gerät. Was soll diese kurze Geschichte zeigen? Nach der Ankündigung eines Wandels muss zeitnah und erlebbar etwas in diese Richtung passieren, sonst fällt die Spannung ab. Und dies hat identische Folgen, wie beim davor genannten „Flow-Faktor“.

Was auch passieren kann ist, dass der Change-Gegenstand nur einen kleinen Teil der Mitarbeiterschaft oder im Extremfall gar niemanden so wirklich betrifft. Oft liegt es daran, dass neue „Modewörter“ im Unternehmen Einzug halten, über welche das (Top-)Management immer wieder spricht. Ankündigungen wie z.B. „Wir müssen mehr vom Kunden her denken!“ dürften vielen von uns noch in den Ohren klingen. Nun, Mitarbeitende der Lohnbuchhaltung z.B. werden dem sicherlich zustimmen – nur was sollen sie damit anfangen? Und somit läuft das ein oder andere Vorhaben für eine grundlegende Änderung mal einfach ins Leere.

Ebenfalls ins Leere lässt die Mitarbeiterschaft einen Change laufen, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass der postulierte Wandel nicht so wirklich gewollt ist. Da kann es sein, wie schon erwähnt, dass viel geredet aber nichts getan wird. Noch auffälliger fand ich es immer, wenn mir die Menschen im Change Umfeld erzählen, dass die Führungskräfte jetzt eine „neue Sprache“ sprechen bzw. viele Floskeln nutzen. Da wird mir berichtet, dass jetzt alles „Agil“ werden soll, nur was das bedeutet, kann nicht erklärt werden. Im Gegenteil, die Erläuterung oder Erklärungsversuche verlieren sich in noch mehr neuen Vokabeln, sodass die Verwirrung erhöht wird und das Misstrauen bzw. die abwartende Zurückhaltung in der Belegschaft wächst.
Mehr als einmal habe ich selbst erlebt, dass mir Führungskräfte empfohlen haben, agil vorzugehen, da es ja dann schneller gehe. Wenn man jedoch weiß, dass im „Agilen Manifest“ als Prinzip festgehalten ist: „Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Die Auftraggeber, Entwickler und Benutzer sollten ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können“, dann kann nur mutmaßen, dass die Führungskräfte den englischen Begriff „Sprint“ falsch verstanden haben oder sich wenig mit Agilität beschäftigt haben. Und das Zweifeln und Misstrauen wächst natürlich, wenn jetzt auf einmal alles „Agil“ oder New Work“ ist.

Bestätigt und Bestärkt wird die Distanzierung der Mitarbeiterschaft insbesondere dann, wenn ihre Führungsmannschaft nicht glaubwürdig mitmacht. Oder noch schlimmer, von sich behauptet z.B. schon „Agil zu sein“ und nur noch der Rest der Menschen im Unternehmen sich entwickeln muss. Dann ist das Risiko groß, dass der Change nicht nur ins Leere läuft, sondern sich ein ernsthafter und hartnäckiger Widerstand entwickelt. Und schon beginnt ein Unternehmenstheater im wahrsten Sinne des Wortes, da vieles nur noch vorgespielt bzw. -getäuscht wird. Übrigens, wer versucht in solch einem unauthentischen Umfeld eine wirksame Feedback- oder Fehlerkultur zu etablieren, ist nicht zu beneiden – aber dies nur am Rande bemerkt.

Mein letzter Aspekt, weshalb Change-Prozesse ins Stocken geraten können, ist dass es zu viele, parallele Veränderungsvorhaben gibt. Dies ist übrigens nicht nur ein Thema in Konzernen, sondern oft auch in klein- und mittelständischen Unternehmen. Ursache dafür können jahrelanges Ausbleiben von Innovationen oder Weiterentwicklungen sein oder das Gegenteil, nämlich ein (zu) schnelles Wachstum in jedweder Hinsicht (Markt, Produktion, Menschen usw.).
Stellen wir uns einfach mal ein Unternehmen mit einem hoch innovativ veranlagten Eigentümer vor. So viele Ideen, wie er jeden Tag generiert kann schon eine bestehende und eingespielte Mannschaft nicht umsetzen. Wenn jetzt noch personelles Wachstum dazu kommt, dann ist es nicht verwunderlich, wenn niemand mehr weiß, wo vorne und hinten ist. Und dabei hinkt mein Beispiel sogar, da in der Mehrzahl der Fälle mit den personellen Veränderungen auch die Strukturen und Prozesse mit angefasst werden. Für mich ist es dann klar, dass Menschen in einem solch turbulenten Umfeld leichter physisch oder psychisch erkranken oder die Erschöpfungsrate ziemlich hoch ist. Einzig der innovative Eigentümer versteht die Welt nicht, da sich nichts ändert sowie alle und alles so lange braucht! Ich denke es ist nachvollziehbar, dass es nicht trivial ist, so eine Dynamik wieder in einen gesunden Flow der Veränderung zu bringen.

Ich hoffe, ich konnte mit den Zeilen oben nachvollziehbar darstellen, warum der „Erfolg“ bei Veränderungsprozessen ausbleiben kann. Was wäre möglich, wenn diese Aspekte weit vor dem Start eines Changes transparent aufgegriffen, sensibilisiert und/oder analysiert und anschließend ausgeschlossen werden? Ich könnte mir vorstellen, dass dann mehr Sicherheit und Vertrauen für Veränderungsvorhaben in Organisationen vorhanden wäre.

Doch dies sind nur meine GedankenÜber… Bei Gefallen würde ich mich über einen „Like“ freuen

Welcher Erfahrungen habt ihr mit Change-Prozessen gemacht?

**Ein selbst gewählter Titel für alle Personen (w/d/m), welche sich für professionelles
Change-Management engagieren und in einer entsprechenden Rolle sind

***Town Halls sind Versammlungen, in welchen themenbezogene Präsentationen der Geschäftsleitung, für alle Mitarbeiter des Unternehmens gehalten werden. Gerade während Corona wurde dies in digitaler Form vermehrt genutzt.

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