Standardisierte Entwicklungsprozesse erzeugen oft keine Wirkung und manchmal auch das Gegenteil

von Björn Hübner

Größere oder längere Veränderungsvorhaben, welche viele Menschen betreffen, lassen die Verlockung entstehen, dass alle Beteiligten exakt die gleichen Maßnahmen zu durchlaufen haben. So haben dann am Ende alle das z.B. gleiche Verständnis oder eine Übereinkunft für zukünftiges Handeln getroffen.

Auf den ersten Blick ist daran auch nichts Unwirksames – es ist ja häufiger der Fall, dass darüber Dinge wie ein gleiches Verständnis, eine gemeinsame Sprache oder gleiche Erlebnisse geschaffen werden, welche verbinden. In meinem Buchbeitrag für „Agile Organisationen“ oder auch im „Change-Cocktail“ plädiere ich selbst dafür, dass gemeinsam gelernt werden soll.

Jedoch kann so etwas nur der Einstieg sein oder für bestimmte Abschnitte des Transformationsprozesses gelten. Und selbst dann war in der Praxis den durchführenden Coaches und mir immer bewusst, dass situative Abweichungen sein dürfen. Bei themenbezogenen Workshops – bspw. zu Agilität – kann das Manifest für agile Softwareentwicklung eingesetzt werden. Es kann dabei unterstützen, sich mit dem agilen Mindset auseinanderzusetzen. Die daraus entstehenden Einsichten oder Erkenntnisse sind jedoch in der Workshoppraxis immer wieder mit jeder einzelnen Workshopgruppe unterschiedlich, auch wenn die Teilnehmerschaft aus demselben Unternehmen oder Organisationseinheit entstammt. Das ist etwas ganz Normales – wenn man systemisch denkend unterwegs ist.

Viel zu oft erlebe ich aber, dass genau solche Individualitäten weder berücksichtigt werden und noch viel weniger beim Aufsetzen des Change Prozesses gedanklich „erlaubt“ sind. Extrem ist es auch, wenn entstandene Erkenntnisse einfach nicht aufgegriffen werden, sondern mit den gewünschten Ergebnissen weitergearbeitet wird oder mit „Blick auf die Zeit“, Diskussionen abrupt beendet werden. Das sind oft Anzeichen für eine, wie ich es nenne, Zwangsentwicklung. Solche entstehen häufig dann, wenn die Designer aber auch die Führungskräfte des Veränderungsprozesses ein exaktes Ergebnis haben wollen und darüber hinaus wenig systemisches Wissen haben bzw. an einen „solchen Nonsens“ nicht glauben. Dahinter steht oft auch wenig Erfahrung und Kompetenz im Umgang mit Komplexität sowie die Angst vor Kontrollverlust. Und im schlimmsten Falle einfach eine riesige Naivität im Umgang bei der Begleitung von Veränderungsprozessen.

Der unerfahrene Umgang mit der Individualität von Ergebnissen aus Interventionen bzw. schon die Nichtbeachtung bei der Entwicklung von Maßnahmen macht natürlich vieles unwirksam, manchmal sogar fast überflüssig. Es bringt aber auch den Transformationsprozess bzw. deren Beteiligte ins Risiko.

So kann bei einer standardisierten Entwicklung, die gleichartige Ergebnisse wie z.B. „wir müssen alle agil werden“ schnell das Gegenteil eintreten. Sehr oft gehen Menschen in den inneren oder äußeren Widerstand, wenn sie so oder so sein sollen. Das ist eine natürliche Reaktanz. Aus dieser kann aber auch noch mehr entstehen. So kann es in einem mir bekannten Fall sogar so weit gehen, dass Konflikte aufbrechen bzw. herausgefordert werden. Dies ist der Fall gewesen, da in der Ausgangssituation die Unterschiedlichkeit der einzelnen Organisationseinheiten keine Berücksichtigung fand und das Vorgehen maximal unflexibel war.

Neue Arbeitsweisen, wie bspw. New Work, sind nicht einfach so mal eben mit ein paar Workshops in einer Organisation implementiert. Insbesondere wenn die entsprechenden Einheiten in ihrer Art und Weise der Zusammenarbeit unterschiedliche Reifegrade habe. So kann es in der Praxis sein, dass die Einführung von Transparenz als neuer Wert der Unternehmenskultur zum Desaster werden kann. Wenn über verschiedene Workshop und Erhebungen der individuelle Workload allen anderen sichtbar gemacht werden soll, um Überlastung zu verhindern oder Synergien zu heben, so scheint dies ja ein großartiges Ziel zu sein. Aber auch in jedem Fall?

Aus der Praxis: Bislang redet in einer Gruppe (Team kann man zu dieser Einheit nicht sagen) jeder über jeden hinterm Rücken über dessen schlechte Arbeitsmoral (Stichwort: Rosinenpicker). Und es gibt dahingehend kein wirksames Leadership bzw. niemand unterbindet dieses Verhalten. Was passiert, wenn ich dann einfach von „null auf hundert“ über Standardmaßnahmen Transparenz einführe?

Ich denke, es ist offensichtlich, dass es entweder zu einer geduldeten Scheintransparenz kommen wird oder dass nun die gegenseitigen Vorwürfe öffentlich ausgetragen werden. Dies kann zum Zerwürfnis der Gruppe insgesamt führen und dem deutlichen Rückgang von Produktivität, da sich nun jeder hinsichtlich seines Workloads absichern muss. Fazit: Es ist als mehr in die Unwirksamkeit entwickelt worden als umgekehrt!

Was wäre also, wenn nicht nur aus Scheu vor dem Aufwand, wirklich und wirksame individualisierte Ansätze bei Veränderungsprozessen designed und umgesetzt würden. Und gleichzeitig nur Menschen mit systemischer Kompetenz und dem konstruktiven Umgang mit Komplexität im Lead wären…was wäre dann?

Doch dies sind nur so meine GedankenÜber… Bei Gefallen würde ich mich über ein „Like“ freuen

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