Delegation Poker erzeugt noch keine Selbstorganisation

von Björn Hübner

Wenn es auch nicht mehr das aktuellste Instrument oder die neueste agile Praxis ist, wird meines Wissens nach Delegation Poker immer noch angewandt bzw. eingeführt. In vielen Büchern oder auch in Internetforen wird es gerne als Einstiegsmöglichkeit zur Entwicklung von Selbstorganisation im Bereich „New Work“ oder „Agilisierung“ angeführt. In diesem Blogbeitrag möchte ich gerne dieses Tool als Beispiel nutzen, um daran aufzuzeigen, dass nur eine Methode eben nicht ausreicht, um wirkliche Selbstorganisation zu etablieren. Das Gegenteil kann sogar der Fall sein.

Delegation Poker, so weit ich weiß, wurde durch Jurgen Appelo mit seinem Buch „Management 3.0“ in die Arbeitswelt gebracht. Es geht verkürzt dabei darum, dass über unterschiedliche „Delegation Level“ die Verantwortlichkeit und der Verantwortungsrahmen für die Menschen in einer Organisation festgelegt wird. Ein Beispiel dafür könnte sein, dass ein Team bei Recruiting-Prozessen von der Führungskraft um Rat zu deren Meinung über die jeweilige Bewerbung gebeten wird (Level: Befragen). Oder als anderes Beispiel, dass das Team selbst ihre Urlaubsorganisation entscheidet und die Führungskraft mit diesem Prozess nichts mehr zu tun hat (Level: Delegieren). Um diesen Prozess einzuleiten, wird ein spielerisches Vorgehen über ein Kartenspiel (mit den entsprechenden Delegation Leveln) empfohlen bzw. genutzt. Darüber soll im aufgelockerten Dialog der Rahmen für die Form der zukünftigen Verantwortlichkeiten entstehen.

Als ich dieses Vorgehen kennenlernte war ich begeistert und das bin ich auch bis heute. Ein großartiges Tool in der Theorie, aber nicht trivial im Umgang bei der Einführung und weiteren Anwendung im Alltag. Und Obacht! Organisationen bzw. deren Management sollten nicht denken (und postulieren), dass allein nur beim Einsatz des Tools sogleich „Agilität“ oder New Work“ etabliert ist. Denn das ist es bei weitem noch nicht. Wie komme ich dazu?

In vielen mir bekannten Unternehmen ist es dem Management und den Führungskräften sehr wichtig, „alles im Griff“ zu haben. Daran ist auch nichts auszusetzen, ich finde es legitim so einen Rahmen für die Organisation zu setzen. Wenn nun aber auf einmal ein neuer Hype in Form von „Selbstorganisation macht alles besser“ durch die Führungsetagen geht, dann kann es schnell zu überstürzten Handlungen und „Stories“ kommen.

Häufig entsteht, meiner Beobachtung nach, erst einmal der Tenor, dass Führungskräfte die „Verhinderer“ für neue Arbeitsweisen sind. Damit sind sie fast schon gebrandmarkt und als Verursacher identifiziert. Sie unterdrücken im oben genannten Fall angeblich die Mitarbeiterschaft und damit die Innovations- und Selbstständigkeit der Menschen, sagen Kritiker. Bedauerlicherweise wird so etwas dann auch noch manchmal vom Topmanagement kommuniziert. Die Selbstreflektion dieser Führungsebene, was denn ihr Beitrag dabei sei, bleibt leider meist aus. Verständlicherweise kann so etwas dann bei den operativen Führungskräften schnell zu Trotzreaktionen im Sinne von „dann soll die Arbeitsebene doch mal schön alles selbst machen – die wollen ja Selbstorganisation“ führen. Und schon ist etwas Trennendes ohne Not entstanden.

In der Praxis kann das dann so aussehen, dass die Führungskraft sein Team mit dem Delegation Poker quasi „überfällt“ und rasch Tatsachen schafft. Ergebnis davon ist häufig, dass sich die Mitarbeiterschaft überfordert fühlt und sich (innerlich) gegen Selbstorganisation ausspricht. Und selbst wenn das Vorgehensmodell durch Agile Coaches (zumeist leider auch) übereilt und unbedacht (da diese zumeist nur euphorisch das Tool feiern) in die Teams gebracht werden, entstehen oft in der Praxis Widerstände. Und schon ist hier Widerstand ohne Not entstanden.

Der Hintergrund ist doch hier, dass schlichtweg das Vertrauen ins System fehlt. Für mich auch völlig verständlich finde ich, wenn vorher jahrelang bei Fehlern oder unabgestimmten Verhalten restriktiv gegen die Verursacher vorgegangen wurde.

Ich denke, dass schon die wenigen Beschreibungen zeigen, dass es gar nicht so trivial ist, Selbstorganisation über die bloße Anwendung eines Tools einzuführen. Beim Einsatz von Delegation Poker empfehle ich daher das motivierende „einfach mal machen“, welches ich aus vielen agilen Transformationsvorhaben kenne, nicht anzuwenden. Vor allen Dingen dann nicht, wenn man es mit dem Wandel zu mehr Selbstorganisation hin wirklich ernst meint. Vielmehr sollte vor der Einführung oder dem Einsatz genau betrachtet werden, wie es um die aktuelle Zusammenarbeitskultur in den jeweiligen Umfeldern bestellt ist. Und damit meine ich die Zusammenarbeit innerhalb eines Teams z.B., aber auch die des Teams mit ihrer jeweiligen Führungskraft. Dies ist aus meiner Sicht zentral, da ich mir zuerst vergegenwärtigen muss, wie stark verankert und etabliert u.a. die „Command & Control Kultur“ oder „Fehlerkultur“ ist. Die Einführung wird also idealerweise so begleitet, dass durch aufbauend auf die existierende Kultur, ein erster Schritt in Richtung Dialog über das Thema Selbstorganisation getan wird. Wichtig bei dieser Arbeit ist, dass eine gleichwertige Beteiligung aller stattfindet. Das ist mir deswegen so wichtig, damit sichergestellt wird, dass auch z.B. die Leisen oder die Introvertierten beitragen. Selbstorganisation lässt sich nämlich nicht „verordnen“, sondern nur über das glaubhafte Handeln erreichen. Und da ist jede(r) gefragt!

Der Knackpunkt auf dem Weg zur Selbstorganisation ist hierbei fast immer: Können die Führungskräfte wirklich loslassen bzw. bekommen sie wirklich das Mandat dafür? Und gibt es genug Mut und Vertrauen bei den Menschen in der Organisation, das Losgelassene im wahrsten Sinne des Wortes aufzugreifen? Gelingt dies, kann sich Selbstorganisation wirklich entfalten – gelingt es nicht, bleibt es bei Lippenbekenntnissen. Ich denke hieran erkennt man leicht, dass es nicht an einem Tool liegt, sondern an der Haltung der Menschen und deren gelebte Kultur der Zusammenarbeit.

Wenn ich mir diesen Prozess für viele mir bekannte Organisationen vorstelle, wird mir klar, dass es dabei echte Herausforderungen zu meistern gäbe. Aber, was wäre erst, wenn die Auflösung gelänge…

Doch dies sind nur so meine GedankenÜber…Bei Gefallen, würde ich mich über ein „Like“ freuen

Welche Erfahrungen habt ihr hinsichtlich der Einführung von Selbstorganisation gemacht?

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